Wenige Monate vor der Auflösung übt das Flugabwehrraketengeschwader 4 ein letztes Mal im Verbund mit allen drei Waffensystemen. HAWK und ROLAND kommen in Zukunft nicht mehr zum Einsatz Kreta - Es schien fast so, als hätte Aiolos, in der griechischen Mythologie Herr der Windgötter, ein Interesse daran, das siebte und gleichzeitig letzte taktische Schießen des Flugabwehrraketengeschwaders (FlaRakG) 4 aufzuhalten. Nachdem der Tag mit klarer Luft und strahlendem Sonnenschein begonnen hatte, fegt heftiger Sturm und strömender Regen über die kretische Halbinsel Akrotiri hinweg. Der geplante Schießtag im Nordwesten der größten Insel Griechenlands muss abgebrochen werden. Doch selbst die Windhose, die Aiolos obendrein auf die Küste zusteuert, um seinem Zorn Nachdruck zu verleihen, kann das letzte scharfe Schießen von HAWK und ROLAND lediglich um einen Tag verzögern. Verhindern kann sie es nicht. Die Entscheidung vom Mai war eindeutig: Die FlaRak-Waffensysteme HAWK und ROLAND werden so bald wie möglich ausgemustert, zudem endet der Einsatzauftrag des FlaRakG 4 mit Ablauf des Jahres 2003. Der Geschwaderstab und die FlaRakGrp 14 (HAWK/ROLAND) werden Mitte 2004 aufgelöst. Die FlaRakGrp 21 (PATRIOT) wird dem FlaRakG 2 zugeordnet und verlegt von Bad Arolsen und Möhnesee nach Sanitz. Die FlaRakGrp 25 (ebenfalls PATRIOT) gehört zukünftig dem FlaRakG 1 an und zieht von Eydelstedt nach Stadum. Von Verbandsauflösung und Standortverlegung im Rahmen der Luftwaffenstruktur 5 waren weitere Einheiten betroffen. Mit dieser Realität sahen sich Luftwaffensoldaten plötzlich konfrontiert. Ein empfindlicher Schlag für den Waffenstolz der "FlaRakis". Oberstleutnant Hans-Hermann Schulz, stellvertretender Kommodore des FlaRakG 4 bezeichnet ihn als "einschneidende und schmerzhafte Veränderung". 40 Jahre HAWK Das Flugabwehrraketensystem HAWK wurde Mitte der 50er Jahre für die US-Army entwickelt. Ab 1963 wurde es als bodengebundenes Luftverteidigungssystem gegen tief und schnell fliegende Luftfahrzeuge in die deutsche Luftwaffe eingeführt. Im Laufe von 40 Jahren wurde das Waffensystem mehrfach weiterentwickelt und der jeweiligen Bedrohung angepasst. Auf eine wesentlich kürzere Geschichte blickt das Waffensystem ROLAND zurück. Als Ergebnis eines deutsch-französischen Rüstungsprojekts wurde es Mitte der 80er Jahre als kompaktes, allwetterkampffähiges und mobiles Flugabwehrraketensystem zur Bekämpfung von Luftfahrzeugen im niedrigen Höhenbereich angeschafft. Die Soldaten, die die beiden FlaRak-Systeme bedienen, sind weitläufig als "Hawkies" beziehungsweise "Roländer" bekannt. Eine enge Verbundenheit mit "ihrem" Waffensystem zeichnet sie aus. Kein Wunder also, dass das letzte Schießen des Geschwaders im Verbund mit allen drei Waffensystemen sowie dem letzten Einsatz von HAWK und ROLAND eine emotionale Angelegenheit werden sollte. "Für viele Kameraden ist dieses letzte Schießen mit Wehmut verbunden", weiß Oberstleutnant Michael Gschoßmann, Kommandeur der FlaRakGrp 25. Schock für die Truppe Für Oberfeldwebel Marco Ziehm bedeutet das letzte Schießen auf Kreta gleichzeitig die letzte Übung überhaupt in seiner militärischen Laufbahn. Der erfahrene Abschusszugführer gehört seit fast zehn Jahren zur 1. Staffel der FlaRakGrp 14 und beendet seine aktive Zeit im Januar 2004. Danach will sich der Zeitsoldat mit Maßnahmen des Berufsförderungsdienstes für das "Leben nach HAWK" fit machen. "Deprimiert und ziemlich mitgenommen" zeigt er sich bereits drei Tage vor dem letzten Abschuss betroffen. Die Nachricht über die Auflösung des Verbands war für seine Kameraden und ihn ein Schock. Wie es nach der Auflösung weiter gehen soll, wissen einige der "Hawkies" noch nicht so recht. Ein Wechsel auf das Waffensystem PATRIOT ist zwar eine Option, die jedoch laut Oberstleutnant Gschoßmann für viele nicht in Frage kommt. "Die meisten sind mit ihrem Waffensystem aufgewachsen und fühlen sich eng damit verbunden. Eine Umschulung wird daher meist abgelehnt", meint er. NAMFI Zum Ausstand aus dem aktiven Dienst verlegten Anfang November rund 380 Soldaten mit vier C-160 Transall nach Kreta um insgesamt 16 ROLAND-, 15 HAWK- und sieben PATRIOT-Raketen in einem taktischen Szenario zu verschießen. Schauplatz für die Operation "Mediterranean Memory" war wieder einmal die "NATO Missile Firing Installation" (NAMFI), etwa 20 Kilometer nördlich von Kretas zweitgrößter Stadt Chania. Der Raketenschießplatz wird bereits seit Ende der Sechziger sehr intensiv von der Bundeswehr genutzt. Generationen deutscher Soldaten hielten sich bereits auf der Insel im östlichen Mittelmeer auf, um den scharfen Schuss mit Flugabwehrwaffen aller Art zu üben. Die große Ausdehnung des Schießgebietes und die unmittelbare räumliche Nähe zu einem Flugplatz sowie einem Marinehafen machen NAMFI für die Nutzerstaaten Belgien, Dänemark, Griechenland, Niederlande und Deutschland so attraktiv. Das Übungsgelände war vor über 25 Jahren leider auch Schauplatz eines der schwersten Unglücke in der Geschichte der Bundeswehr. Am 9. Februar 1975 stürzte eine Transall kurz vor der Landung in den Bergen Kretas ab. Eine Gedenkstätte erinnert an die 42 umgekommenen Insassen. Die Abschaffung der Waffensysteme HAWK und ROLAND geht auch am Taktischen Ausbildungskommando der Luftwaffe in Griechenland nicht spurlos vorbei. Zwar wird die Luftwaffe weiterhin taktische Schießen mit PATRIOT auf NAMFI durchführen, dennoch wird das elfköpfige Kommando, das 1967 als "Deutsches Luftwaffenübungsplatzkommando Souda-Bucht" aufgestellt wurde, ab Mitte 2004 der Vergangenheit angehören. Anschließend werden noch ganze drei deutsche Soldaten die schwarz-rot-goldene Flagge auf Kreta hochhalten. Das "Verbindungskommando Luftwaffe NAMFI" nimmt offiziell ab 1. Juli 2004 seinen Dienst auf und wird die taktischen Schießen aller Nutzerstaaten als Bewerter begleiten. Aufbruch und Endzeitstimmung Das letzte taktische Schießen hatte aber auch eine Premiere zu bieten. Fähnrich Linda de Artiagoitia ist der erste weibliche Feuerleitoffizier am Waffensystem PATRIOT und erlangte durch ihren ersten scharfen Schuss auf Kreta den Status "Combat Ready". "Pure Nervosität", die ihr den Schlaf raubte, war der Feuertaufe vorangegangen. Nun steht die 23-jährige mit dem baskischen Namen nach sechsmonatiger Ausbildung an der Raketenschule der Luftwaffe im texanischen El Paso für Einsätze bereit. Klar, dass sie bei ihrem ersten taktischen Schießen eine besonders hohe Motivation an den Tag legte. Doch darin standen ihr die Kameraden von HAWK und ROLAND in nichts nach. Die gezeigten Leistungen bei Vorbereitungen, Verlegen der Waffensysteme an den Einsatzort sowie beim Schießen an sich, lagen allesamt auf hohem Niveau. Am Ende des Schießens stand ein "weit überdurchschnittliches Ergebnis". Das sorgte für große Zufriedenheit und ausgelassene Stimmung bei der abschließenden "Missile-Away-Party". Doch kurz nachdem die definitiv letzte HAWK-Rakete das Startgerät verlassen hatte, machte sich eine gedrückte Stimmung breit. Nicht wenige konnten ein paar Tränen kaum verdrücken und es hieß: "Last Mission Accomplished". Autor: Nico Pestel Fotograf: Christof Exner, Horst Klaffki, Nico Pestel Datum: 26.11.2003 aus: www.luftwaffe.de