Erklärung von US-Präsident Bush
jr. vom 13.12.2001
zum Ausstieg aus dem ABM-Vertrag von 1972
Guten Morgen,
ich habe gerade eine Besprechung mit meinem Nationalen Sicherheitsrat
beendet. Wir haben diskutiert, was ich mit meinem Freund, Präsident
Wladimir Putin, bei zahlreichen Treffen über viele Monate hinweg erörtert
habe. Und das ist die Notwendigkeit für die Vereinigten Staaten, über den
ABM-Vertrag von 1972 hinauszugehen.
Heute habe ich Russland im Einklang mit dem Vertrag offiziell davon
unterrichtet, dass die Vereinigten Staaten von Amerika von diesem beinahe
30 Jahre alten Vertrag zurücktreten. Ich bin zu der Schlussfolgerung
gelangt, dass der ABM-Vertrag die Fähigkeit unserer Regierung behindert,
Wege zum Schutz unseres Volkes vor künftigen Angriffen durch Terroristen
oder Schurkenstaaten zu entwickeln.
Der ABM-Vertrag von 1972 wurde von den Vereinigten Staaten und der
Sowjetunion zu einer völlig anderen Zeit in einer völlig anderen Welt
unterzeichnet. Einer der Unterzeichnerstaaten – die Sowjetunion –
existiert nicht mehr. Und genauso wenig existiert die Feindseligkeit noch,
die unsere beiden Länder damals veranlasste, tausende von Nuklearwaffen im
„hair trigger alert”- Bereitschaftsstatus aufeinander zu richten. Die
grauenhafte Theorie war, dass keine Seite einen Nuklearangriff durchführen
würde, weil sie wusste, die andere Seite würde reagieren und auf diese
Weise beide Länder zerstören.
Wie die Ereignisse vom 11. September nur allzu deutlich gemacht haben,
kommt heute die größte Bedrohung für unsere beiden Länder nicht vom
jeweils anderen Land oder von anderen Großmächten, sondern von
Terroristen, die ohne Warnung zuschlagen oder Schurkenstaaten, die den
Besitz von Massenvernichtungswaffen anstreben.
Wir wissen, dass die Terroristen und einige ihrer Gefolgsleute die
Fähigkeit anstreben, mit Raketen Tod und Zerstörung an unsere Türschwelle
zu bringen. Und wir müssen die Freiheit und Flexibilität zur Entwicklung
einer effektiven Verteidigung gegen diese Angriffe haben. Die Verteidigung
des amerikanischen Volks ist meine oberste Priorität als Oberbefehlshaber,
und ich kann und werde nicht zulassen, dass die Vereinigten Staaten
Partner eines Vertrags bleiben, der uns von der Entwicklung effektiver
Abwehrsysteme abhält.
Gleichzeitig haben die Vereinigten Staaten und Russland neue, viel
versprechendere und konstruktivere Beziehungen entwickelt. Wir arbeiten
darauf hin, die gegenseitig zugesicherte Zerstörung durch gegenseitige
Zusammenarbeit zu ersetzen. Beginnend in Ljubljana und danach bei Treffen
in Genua, Shanghai, Washington und Crawford haben Präsident Putin und ich
gemeinsames Terrain für neue strategische Beziehungen erarbeitet. Russland
befindet sich im Übergang zu freien Märkten und Demokratie. Wir haben uns
zu starken Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und den Vereinigten
Staaten sowie neuen Kontakten zwischen Russland, uns und unseren
NATO-Partnern verpflichtet. Die NATO hat ihren Wunsch deutlich zum
Ausdruck gebracht, Möglichkeiten für gemeinsame Aktionen nach der
Erweiterung auf 20 Mitgliedstaaten auszumachen und zu sondieren.
Ich sehe einem Besuch in Moskau zur Fortsetzung unserer Gespräche
erwartungsvoll entgegen, während wir einen offiziellen Weg zur
Formulierung neuer strategischer Beziehungen suchen, die unsere jeweiligen
Regierungen lange überdauern und eine Grundlage für Frieden in den
kommenden Jahren bieten werden.
Wir arbeiten bereits eng zusammen, jetzt da die Welt sich im Kampf gegen
den Terrorismus zusammenschließt. Ich weiß Präsident Putins wichtigen Rat
und seine Zusammenarbeit bei unserem Kampf zur Zerschlagung des
Al-Kaida-Netzwerks in Afghanistan außerordentlich zu schätzen. Ich weiß
seine Verpflichtung zum Abbau der offensiven Nuklearwaffen Russlands zu
schätzen. Ich wiederhole unsere Zusage, unser eigenes Nukleararsenal um
zwischen 1.700 und 2.200 dislozierte strategische Nuklearwaffen zu
reduzieren. Präsident Putin und ich haben außerdem vereinbart, dass meine
Entscheidung, vom Vertrag zurückzutreten, in keiner Weise unsere neuen
Beziehungen oder die russische Sicherheit unterminieren wird.
Wie Präsident Putin in Crawford erklärte, befinden wir uns auf dem Weg zu
völlig anderen Beziehungen. Der Kalte Krieg ist seit langem vorüber. Heute
lassen wir eines seiner letzten Relikte hinter uns.
Aber es ist nicht der Tag, um zurückzublicken. Es ist der Tag, um mit
Hoffnung und in der Erwartung größeren Wohlstands und Friedens für die
Russen, die Amerikaner und die ganze Welt nach vorne zu blicken.
Vielen Dank!
Erklärung
des russischen Präsidenten Putin vom 13.12.2001
zum amerikanischen Ausstieg aus dem ABM-Vertrag von 1972
Die Administration der
Vereinigten Staaten von Amerika hat heute ihren Ausstieg aus dem
Raketenabwehrvertrag von 1972 in sechs Monaten verkündet.
In der Tat gewährt der Vertrag jeder der Seiten das Recht, ihn wegen
außergewöhnlicher Umstände zu kündigen. Die US-Führung hat mehrmals
darüber gesprochen, und dieser Schritt ist für uns nicht unerwartet
gekommen. Wir halten diesen Beschluss aber für einen Fehler.
Bekanntlich verfügt Russland wie auch die USA im Unterschied zu anderen
Atommächten schon seit langem über ein wirksames System für die
Überwindung der Raketenabwehr. Darum kann ich mit voller Sicherheit
erklären, dass die vom US-Präsidenten getroffene Entscheidung keine Gefahr
für die nationale Sicherheit der Russischen Föderation heraufbeschwört.
Zugleich hat unser Land den von den USA eindringlich empfohlenen
gemeinsamen Ausstieg aus dem ABM-Vertrag abgelehnt und hat alles nur
Mögliche unternommen, um diesen Vertrag aufrechtzuerhalten. Ich bin heute
noch der Meinung, dass so eine Position richtig und begründet ist. Dabei
ließ sich Russland in erster Linie von der Sorge über die Erhaltung und
Festigung der völkerrechtlichen Grundlagen auf dem Gebiet der Abrüstung
und Nichtweiterverbreitung der Massenvernichtungswaffen leiten.
Der Raketenabwehrvertrag stellt eben solch eine tragende Konstruktion im
Rechtssystem auf diesem Gebiet dar. Dieses System wurde durch gemeinsame
Bemühungen im Laufe der letzten Jahrzehnte aufgebaut.
Wir sind davon überzeugt, dass die Entwicklung der Situation in der
gegenwärtigen Welt nachdrücklich eine bestimmte Aktionslogik erfordert.
Heute, wenn sich die Welt mit neuen Gefahren konfrontiert sieht, darf man
ein rechtliches Vakuum im Bereich der strategischen Stabilität nicht
zulassen sowie Regime der Nichtweiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen nicht untergraben.
Aus meiner Sicht soll das jetzige Niveau im bilateralen Verhältnis
zwischen der Russischen Föderation und den USA nicht nur beibehalten
bleiben, sondern auch für eine baldigst mögliche Ausarbeitung von neuen
Rahmen in den strategischen Beziehungen genutzt werden.
Neben dem Problem der Raketenabwehr kommt unter diesen Bedingungen auch
der rechtlichen Ausgestaltung von erreichten Vereinbarungen über die
weiteren radikalen, nicht umkehrbaren und kontrollierbaren Kürzungen der
strategischen Offensivwaffen, von unserem Standpunkt aus, bis auf das
Niveau von 1500 – 2200 nuklearen Geschossen auf jeder Seite eine besondere
Bedeutung zu.
Abschließend möchte ich betonen, dass Russland auch weiterhin seinem
prinzipiellen Kurs in den internationalen Angelegenheiten fest Folge
leisten wird, der auf eine Konsolidierung der strategischen Stabilität und
der internationalen Sicherheit gerichtet ist.